Vorschau: ab 10. September 2025
Die in Hamburg lebende Künstlerin Dagmar Schuldt untersucht in ihren Werken die Konstruktion und Wirkung unserer Wahrnehmung von Geschichte. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit Phänomenen der Erinnerungskultur, mit Fragen zur Geschichte und Archäologie sowie mit der Spurensuche und -sammlung. Aus welchen Fragmenten der Wahrnehmung ist unsere Erzählung von Geschichte entstanden? Wie wird unsere Erinnerung die Zukunft prägen? In ihrer Arbeit findet dabei nicht nur das Bewahrte und Offensichtliche einen Platz, sondern insbesondere das, was wir nicht mehr sehen können, wahrnehmen oder erinnern.
Das genreübergreifende Projekt „Archäologie der Gedanken“ verbindet das Archäologische Museum Frankfurt mit dem südwestlichen Stadtraum, konkreten Stellen, Orten und Gebieten in Niederrad und dem Stadtwald. Die Umgebung von Frankfurt wird seit Jahrtausenden von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kulturen durchquert und besiedelt. Es entstanden Handelsrouten, Pilgerwege, Verkehrs- und Kommunikationsknotenpunkte, die die Stadt und ihre Geschichte bis heute prägen und einen Austausch von Gedanken ermöglicht haben. Der Begriff „Gedanke“ wird von der Künstlerin als sich verzweigendes Wegenetz definiert. Damit wird „Geschichte“ von ihr als Landschaft wahrgenommen.
In der Ausstellung, die ab dem 10. September 2025 zu sehen ist, komprimiert die Künstlerin städtische und landschaftliche Orte und macht sie als Wege- und Gedankennetz partizipativ erfahrbar. Im Foyer und Eingangsbereich befinden sich Stempelpunkte. Sieben, von der Künstlerin ausgewählte Geopunkte in Niederrad und dem Stadtwald, markieren historische Verweise in Form von Stelen, unter deren Deckeln sich Stempel befinden. Besucher erhalten im Museum eine Kunstlandkarte. Wie bei einer Wanderung oder einem Pilgerweg können sie mit dieser Karte die Orte in Verbindung setzen und so ihre imaginäre Route festlegen. Jedem Geopunkt ist ein eigenes, bezugnehmendes Stempelmotiv zugeordnet. Über einen QR-Code lässt sich außerdem ein Kurztext mit einer Einführung in Ausschnitte der jeweiligen Geschichte abrufen. Jeder Besucher hat die Möglichkeit, Stempelabdrücke auf der Karte zu hinterlassen und diese später als Kunstwerk, Andenken oder Vorlage für eine analoge Wanderung mitzunehmen.
Im Bereich „Mapping Memory“ zeigt Dagmar Schuldt überarbeitete topographische und historische Karten. In immer wieder übermalten Farb- und Materialschichten zeichnet sich ab, was man nicht mehr sieht. Alte und neue Wegenetze überlagern sich, der Blick kommt aus der Vogelperspektive und wandert in die Tiefe der Geschichte und ihren Schichtungen.
Im ehemaligen Chorraum zeigt die Künstlerin den „Gedankengang“: ein sieben Meter langes Mosaik aus historischen Fliesenfragmenten mit Zeichnungen in blauer Glasurfarbe. Diese Zeichnungen sind Teil ihrer eigenen Erinnerung und der kollektiven Geschichte. Die Fliesenfragmente stammen von im Zweiten Weltkrieg zerstörten Häusern. Jede deutsche Stadt hat entweder Trümmerberge oder Ablageorte von Kriegsschutt, die nach dem Zweiten Weltkrieg angelegt wurden. Die Teilzerstörung des Karmeliterklosters bildet hier eine inhaltliche Brücke.
In der Videoarbeit „Schicht um Schicht – Umschichten“ werden die zum „Gedankengang“ ausgelegten Fliesenfragmente in unterschiedlichen örtlichen Bezügen gezeigt, unter anderem in der Sammlung des Museums für Hamburgische Geschichte und am Strand von Jork, wo Kriegsschuttreste über mehrere Kilometer entlang der Elbe abgeladen wurden. 300 historische Fliesenfragmente mit den eingebrannten Zeichnungen von Dagmar Schuldt werden für einige Stunden entlang der Wasserlinie ausgelegt und gefilmt. Im Film überlagern sich Erlerntes, Erinnertes, Assoziiertes und Vergessenes schichtweise – ein Bild für die Geschichte, die sich stets neu kontextualisiert und so zur kontinuierlichen Veränderung unseres Gedächtnisses beiträgt.
Auch im Stadtraum von Niederrad wird die Ausstellung sichtbar: Sieben verschiedene Plakatmotive zeigen eine Karte aus der Serie „Mapping Memory“ und sind jeweils mit dem Schwerpunkt eines Stempelbildes sowie dem dazugehörigen QR-Code versehen. Alle Plakate enthalten Informationen, die sowohl zum Wanderweg als auch zu einem persönlichen Gedankengang einladen.
Eine Ausstellung in Kooperation mit Claus Friede Contemporary Arts (Hamburg/Starnberg) und mit freundlicher Unterstützung der Fondation Erica Sauter (Genf/Schweiz).
Bild oben: Dagmar Schuldt, Erinnerungsmosaik, 2021
Bemalte Fliesenfragmente zum Mosaik gelegt (Detail), 56 x 65 x 700 cm,
Museum für Hamburgische Geschichte. Foto: Sina Schuldt
Courtesy: Claus Friede Contemporary Arts
Bild Mitte: Dagmar Schuldt: „Dazwischen Sein“, 2023
Stempel mit Stadtbild (Detail), Kulturforum d. Landeshauptstadt Schwerin.
Foto: Sina Schuldt
Courtesy: Claus Friede Contemporary Arts
Bild unten: Dagmar Schuldt, „Karte Frankfurt 2.2.“, 2024
Papier, Schellack, Tuschen, Graphit, 21 x 29,7 siebenmal gefaltet,
Foto: Dagmar Schuldt
Courtesy: Claus Friede Contemporary Arts