Wann und wo wurde der Fund gemacht?
Die Friedhöfe von Nida, dem Hauptort der Civitas Taunensium, waren in römischer Zeit gemäß den damaligen Gesetzen entlang der Ein- und Ausfallsstraßen angelegt. So auch beim Gräberfeld in der Heilmannstraße 10 im Frankfurter Stadtteil Praunheim. Dort führte das Denkmalamt 2017 bis 2018 archäologische Ausgrabungen durch. Das Grab 134 wurde im Zuge des Neubaus eines Einfamilienhauses 2018 freigelegt, dokumentiert und geborgen.
Das Grab ist Teil eines bereits seit dem späten 19. Jahrhundert bekannten römischen Gräberfeldes, von dem zuvor nur einzelne Gräber bei Baumaßnahmen geborgen werden konnten. Bei dem Bestattungsplatz handelt es sich um einen der Friedhöfe der römischen Stadt Nida (heute Frankfurt am Main-Heddernheim), die sich ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. zum Zentrum des nordmainischen Limesgebietes entwickelte.
Was genau steht auf dem aufgerollten Silberblech?
Die „Frankfurter Silberinschrift“ gelesen und übersetzt ins Deutsche von Prof. Markus Scholz (Stand: 04.12.2024):
Lesung |
Übersetzung |
1 [in nomi?]ṆẸ SANCTI TIT̅I 2 AGIOS AGIOS AGIOS 3 [in] NOMINE I͞H X͞P DEI F(ilii) 4 [m]VNDI DOMINVS 5 [reg-? oder vir?]ỊBVS OMNIBVS 6 [oc- oder recu]ṚSIONIBVS OP(p)ONIT 7 [de?]VS VALETVDINIBVS 8 ṢẠḶVIS ACCESSVM 9 [pra]ESTAT HAEC SAḶ(us?) TVEAT 10 [h]OMINEM QVI SE 11 ḌEDIT VOLVNTATI 12 DOMINI I͞H X͞P TI DEI F(ilii) 13 QVONIAM I͞H X͞P O 14 MNES{T} (sic!) GENVA FLEC 15 TENT CAELESTES 16 ṬERRESTRES ET 17 INFERI ET OMNIS LIN 18 GVA CONFITEẠTVR |
“(Im Namen?) des Heiligen Titus. Heilig, heilig, heilig! Im Namen Jesu Christi, Gottes Sohn! Der Herr der Welt widersetzt sich nach [Kräften?] allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?). Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden Eintritt. Dieses Rettungsmittel(?) schütze den Menschen, der sich hingibt dem Willen des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn, da sich ja vor Jesus Christus alle Knie beu- gen: die Himmlischen, die Irdischen und die Unterirdischen, und jede Zunge bekenne sich (zu Jesus Christus).“ |
Warum ist diese Inschrift eine Sensation für die Wissenschaft?
Ein geheimnisvolles Röhrchen aus Silber, darin eine Botschaft, etwa 1775 Jahre lang eingerollt und unlesbar – jetzt mit modernster Technik wieder enthüllt. Erstmalig wird der Fund der Öffentlichkeit präsentiert, von dem es deutschlandweit nichts Vergleichbares gibt.
Der Text alleine ist bereits sensationell, aber erst der Kontext ergibt den vollen Wert des Objektes. Gäbe es nur die Inschrift auf der Folie, wäre sie weder zweifelsfrei zu datieren noch wüsste man, woher sie stammt. Damit könnte das Objekt nicht wirklich sicher eingeordnet werden. Dank der sorgfältigen Grabung des Denkmalamtes kann jedoch genau bestimmt werden, woher das Objekt stammt und wir wissen einiges über den Träger – so auch, dass er das Amulett um den Hals trug, als man ihn bestattete – und können es vor allem mit Hilfe der Grabbeigaben datieren.
Warum ist mit der Entschlüsselung der Inschrift belegt, dass es sich tatsächlich um das bisher älteste christliche Zeugnis nördlich der Alpen handelt?
Es gibt keine vergleichbaren, so früh datierten Befunde und Objekte aus diesem Raum. Das hängt in erster Linie an der Datierung des Grabes, aus dem das Amulett stammt. Dank der sorgfältigen Bergung des Objektes ist damit die Datierung in die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. gesichert. Die Datierung konnte Dr. Peter Fasold als Bearbeiter des Gräberfeldes von Frankfurt-Praunheim anhand der Ausstattung vornehmen. Entscheidend hierfür sind die Keramikbeigaben. In der Grabgrube befanden sich zwei Keramikgefäße – ein Krug aus Ton und ein sog. Räucherkelch. Daraus ergibt sich eine Datierung in die Jahre 230 bis 260 n. Chr.
Die Frankfurter Silberinschrift ist somit Jahrzehnte älter als alle bisher aus diesem Raum bekannten christlichen Zeugnisse.
Wie genau konnte die Schrift entziffert werden?
Beitrag des Leibniz-Zentrums für Archäologie in Mainz (LEIZA) zur Analyse der Frankfurter Silberinschrift:
Im Zuge der wissenschaftlichen Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen übernahm
das Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) im Frühjahr 2024 die wissenschaftliche Analyse
der Frankfurter Silberinschrift.
• Am LEIZA steht in der 2021 eingerichteten „IMPALA – Imaging Platform at LEIZA“ ein
leistungsstarker 3D-Computertomograph (CT) zur Verfügung. Das System zählt zu den
bildgebenden Verfahren, die es ermöglichen, Objekte zerstörungsfrei zu untersuchen.
Aufgrund der innovativen industriellen Röntgentechnologie eignet es sich sowohl für die
Analyse großer und schwerer Objekte als auch für filigrane Stücke wie die Frankfurter
Silberinschrift.
• Der 3D-CT ermöglicht unter anderem Einblick in verschlossene Gefäße, ohne dass sie
geöffnet werden müssen. Damit wird das Objekt vor weiteren Schäden geschützt.
• Das besonders schonende Analyseverfahren war auch für den Fund der Frankfurter
Silberinschrift wichtig. Die Herausforderung in der Analyse bestand darin, dass sie zwar
gerollt, aber nach rund 1.800 Jahren auch zerknickt und gepresst war.
• Mittels des CTs konnte die Silberinschrift in einer sehr hohen Auflösung gescannt und ein
3D-Modell erstellt werden.
• Die hochaufgelösten CT-Daten ermöglichten es, die Fragmente virtuell zusammenzusetzen
und die Schnittebenen so anzupassen, dass sie die Krümmung der Schriftrolle wiedergeben.
Dadurch ließ sich die Schrift auf eine Ebene projizieren und lesbar machen. Details der
erstmalig angewandten Methode werden im kommenden Jahr in einer wissenschaftlichen
Publikation veröffentlicht.
• Parallel wurde am LEIZA von Prof. Dr. Roland Schwab das Material der Frankfurter
Silberinschrift untersucht. Im sogenannten Archäometrielabor können die chemische
Zusammensetzung von Funden analysiert und auch Rückschlüsse auf Herstellungsprozesse
gezogen werden. Für die Frankfurter Silberinschrift konnte festgestellt werden, dass
sowohl für die Folie als auch für die sie umgebende Kapsel dasselbe Material verwendet
wurde.
Der 3D-Computertomograph des LEIZA
Mit einer Röntgentechnologie, die auch in der Industrie eingesetzt wird, lässt sich mit dem 3D-Computertomographen des LEIZA ein breites Spektrum archäologischer Objekte analysieren. Dazu zählen sowohl Blockbergungen, also die Bergung archäologischer Befunde zusammen mit dem umgebenden Erdreich, als auch empfindliche Stücke. Eine Besonderheit ist, dass auch größere Objekte von bis zu 2,5 Metern, einem Durchmesser von maximal einem Meter und einem Gewicht bis zu 100 Kilogramm erforscht werden können.
Eine weitere wichtige Anwendung des CTs besteht in der Rekonstruktion von vergangenen Herstellungstechniken sowie der Dokumentation von Befunden. Neben der Untersuchung von Objekten ermöglicht das System auch die Digitalisierung von Exponaten, die in den letzten Jahrzehnten gesammelt wurden, und liefert aufgrund der dreidimensionalen volumetrischen Informationen neue Erkenntnisse.
Der CT der Firma Waygate Technologies, Modell Phoenix V|tome|x L450, im Wert von 1,3 Millionen Euro ist seit Mitte 2023 am LEIZA im Einsatz und kommt sowohl eigenen Forschungsprojekten als auch wissenschaftlichen Kooperationen und externen Aufträgen zugute.
Warum wurde erst jetzt, sechs Jahre nach dem eigentlichen Fund, klar, welche Sensation das kleine Silberröllchen in sich trägt?
Die Schriftrolle kann keinesfalls herausgenommen, entrollt und „einfach“ gelesen werden. Das Blech selbst ist durch die lange Zeit im Boden viel zu spröde und brüchig, um es aufzurollen. Stattdessen fertigte das Leibniz-Zentrum für Archäologie aus Mainz, kurz LEIZA, einen Scan im Computertomographen (CT) an und setzte die Blechscans virtuell Stück für Stück aneinander.
Zudem ist niemals mit dem Abschluss der Ausgrabung auch gleichzeitig die Auswertung abgeschlossen. Die Funde müssen zunächst gereinigt, restauriert und wissenschaftlich ausgewertet werden.
Im vorliegenden Fall kann zudem die „Frankfurter Silberinschrift“ nicht für sich alleine stehen – auch alle anderen Funde und Befunde des Gräberfeldes sind relevant.
Das gesamte Inventar des Gräberfeldes wurde vom Denkmalamt 2018 dem Archäologischen Museum Frankfurt (AMF) übergeben. Es handelt sich dabei um 127 Gräber, die zunächst gesichtet und teilweise restauratorisch betreut werden mussten. Im Auftrag des Denkmalamtes wurde bereits Ende 2018 versucht, die Silberfolie digital zu entrollen. Dies gelang aber nur bedingt; der Text erwies sich als kaum lesbar. Eine mechanische „Entrollung“ der Silberfolie wurde von den Restauratorinnen und Restauratoren im AMF erwogen; dazu mussten jedoch zunächst Materialuntersuchungen an dem Objekt durchgeführt werden. Die dünne Schriftrolle aus Silber ist jedoch durch die lange Zeit im Boden viel zu brüchig, um sie einfach aufzurollen. Die Technik, solche filigranen archäologischen Objekte digital zu bearbeiten, wurde erst in den vergangenen Jahren weiterentwickelt.
Erst mit der Neueinrichtung des LEIZA in Mainz im Laufe des Jahres 2023 waren die technischen Voraussetzungen und das Know-how vorhanden, um einen neuen Anlauf zu wagen. Dieser wurde im Frühjahr 2024 gestartet. Die herausragende wissenschaftliche Bedeutung des Textes bedingte stetig Nachbesserungen durch die Kollegen in Mainz, um so weit wie möglich Zweifel auszuschließen und unsichere Lesungen zu korrigieren. Prof. Markus Scholz, der wissenschaftliche Bearbeiter der Inschrift, stand dazu im engen Austausch mit den Kollegen im LEIZA. Parallel dazu galt es, vor einer Präsentation für die Öffentlichkeit den entzifferten Inhalt mit Kollegen anderer Fachrichtungen, insbesondere der Kirchengeschichte und Theologie, zu diskutieren und zu verifizieren. Alleine dieser Prozess dauerte mehrere Monate.
Was verändert sich durch den Fund für die christliche Archäologie?
Im 3. Jahrhundert nach Christus, in einer Zeit, in der das Christentum noch ein verbotener, aber sich stetig ausbreitender Kult war, war es durchaus ein Risiko, sich als Christ zu erkennen zu geben. Einem Mann aus dem heutigen Praunheim war sein Glaube jedoch offenbar so wichtig, dass er ihn mit ins Grab nahm.
Welche Forschungsfelder und Themenbereiche werden durch die „Frankfurter Silberinschrift“ angesprochen und müssen gegebenenfalls ihre Deutungsgeschichte umschreiben?
Provinzialrömische Archäologie, Klassische Archäologie, Christliche Archäologie, Religionswissenschaften, Philologie, Anthropologie, Alte Geschichte, Kirchengeschichte.
Für die Provinzialrömische Archäologie ist es der älteste sichere Nachweis von Christen im rechtsrheinischen Limesgebiet und darüber hinaus. Gut 200 Jahre nach dem Tod Jesu rechnete man zwar immer mit der Existenz christlicher Gemeinden nördlich der Alpen, die Quellen dazu waren aber vor dem 4. Jh. n. Chr. außerordentlich spärlich. Erzählungen über christliche Bischöfe oder Märtyrer stammten meist aus späterer Zeit und waren oft legendär. Zudem fehlt bis ins fortgeschrittene 4. Jahrhundert n. Chr. hinein eine eigenständige „christliche“ Sachkultur und Architektur – man unterscheidet sich kaum von den „heidnischen“ Nachbarn.