Ab dem 18. Dezember 2024 in der Dauerausstellung des Archäologischen Museums Frankfurt
Ein kleines, gerade einmal 3,5 cm großes Silberamulett, darin eingerollt eine dünne Silberfolie mit einer geheimnisvollen Ritzung: Die „Frankfurter Silberinschrift“. Diese 18 Zeilen, da sind sich Expertinnen und Experten einig, werden die bisherige Forschung über die Ausbreitung des Christentums und die Spätzeit der römischen Herrschaft rechts des Rheins enorm bereichern. Die Inschrift konnte dank modernster Computertomographie-Technik entschlüsselt werden. Sie zeigt: der Text ist vollständig christlich zu deuten, was für diese Zeit absolut außergewöhnlich ist.
Das Besondere ist das Alter des Fundes. Denn das Grab, in dem das Amulett gefunden wurde, wird auf den Zeitraum zwischen 230 und 260 n.Chr. datiert. Einen so frühen, authentischen Nachweis reinen Christentums nördlich der Alpen gab es bisher noch nicht. Alle Funde sind mindestens rund 50 Jahre jünger. Zwar gibt es Hinweise aus der Geschichtsschreibung auf erste christliche Gruppen in Gallien und vielleicht auch in der Provinz Obergermanien im späten 2. Jahrhundert. Sichere Nachweise für christliches Leben in den nordalpinen Gebieten des Römischen Reiches stammen in der Regel aber erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.
Das Gräberfeld „Heilmannstraße“ (Frankfurt am Main-Praunheim) und die Frankfurter Silberinschrift
Das Areal der römischen Stadt Nida (Frankfurt am Main-Heddernheim) ist eine der größten und bedeutendsten archäologischen Fundstätten Hessens. Von einem militärischen Knotenpunkt aus den 70er Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. entwickelte sich die Siedlung nach dem Abzug der Armee im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum. Nida wurde zum Hauptort der nordmainischen Grenzregion, der civitas Taunensium. Die Stadt gehörte zu den bedeutendsten römischen Siedlungen im römischen Germanien und zeichnete sich durch eine außergewöhnliche kulturelle Vielfalt aus. Vieles deutet darauf hin, dass Nida bis in das 2. Viertel des 3. Jahrhunderts n. Chr. hinein eine Zeit des Wohlstandes erlebte.
Die Auswertung der Ausgrabungen des Frankfurter Denkmalamtes in den Jahren 2017-2018 in dem zur römischen Stadt gehörenden Gräberfeld an der „Heilmannstraße“ (Frankfurt am Main-Praunheim) hat nun unser Bild von der Spätzeit der römischen Herrschaft in den Gebieten rechts des Rheins nachhaltig verändert. Bei den Grabungen konnten auf einer dicht belegten Fläche von etwa 500 m2 insgesamt 127 Gräber freigelegt werden.
Das Gräberfeld „Heilmannstraße“ weist nach heutigem Kenntnisstand einige Besonderheiten auf: Die Lage des Begräbnisplatzes der Nordwestecke der antiken Stadtgrenze ist ungewöhnlich, da er an keine der wichtigen Ausfallstraßen angebunden war.
Unter den Bestattungen dominieren eindeutig die Körpergräber (113), von denen 45 beigabenlos waren. In allen anderen bekannten Friedhöfen von Nida liegt der Anteil von Körperbestattungen nur bei etwa 10%.
Das Gräberfeld setzt sich darüber hinaus durch eine Reihe außergewöhnlicher Beigaben(-ensembles) von den übrigen Gräberstraßen in Nida ab. Dies unterstreichen beispielsweise die vielgestaltigen Glasfunde, die in den bislang bekannten Bestattungen fehlen. Neu für Gräber in Nida ist darüber hinaus der vielfältige Nachweis von Schmuck, vor allem Perlen aus Glas, Gagat (fosiles Holz) und Stein (u. a. Bergkristall). Bemerkenswert ist der Nachweis von 14 Paar Schuhen, die neben den Füßen oder an den Unterschenkeln der Verstorbenen abgestellt worden waren. Sie scheinen anzudeuten, dass der Lebensweg zu Ende beschritten und das Schuhwerk somit nutzlos geworden war. Die Gräber der Heilmannstrasse gleichen sich damit zeitgleichen, qualitätvollen Beisetzungen in den römischen Metropolen am Rhein an.
Herausragender Einzelfund ist die silberne Amulettkapsel aus dem Körpergrab eines 35-45 Jahre alten Mannes (Stelle 134). Der Tote trug das Amulett offenbar noch in der Grablege um den Hals. Die Kapsel barg eine zusammengerollte Silberfolie, in die eine Inschrift eingeritzt war. Diese konnte im Jahr 2024 am LEIZA (Leibniz-Zentrum für Archäologie) in Mainz digital entrollt und von Prof. Markus Scholz (Goethe-Universität Frankfurt am Main) gelesen werden.
Konservierung, Restaurierung und digitale Entrollung
Im Archäologischen Museum Frankfurt wurde der Fund konservierungswissenschaftlich aufbereitet und restauratorisch bearbeitet. Schon während der Ausgrabung war klar: Das Silber-Amulett enthält eine dünne Silberfolie mit Inschrift. Das zeigten bereits mikroskopische Untersuchungen und Röntgenaufnahmen im Jahr 2019. Doch es sollte noch dauern, bis der Text zweifelsfrei entziffert werden konnte. Die hauchdünne Silberfolie selbst ist durch die lange Zeit im Boden zu spröde und brüchig, um sie einfach aufzurollen. Sie würde bei Versuchen, sie aufzurollen auseinanderfallen. Erst die Durchleuchtung mit einem hochmodernen Computertomographen im Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA) brachte im Mai 2024 schließlich den Durchbruch. „Die Herausforderung in der Analyse bestand darin, dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach rund 1800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war. Mittels des CTs konnten wir es in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modell erstellen“, berichtet Dr. Ivan Calandra, Laborleiter für bildgebende Verfahren am LEIZA. Das LEIZA wendete zudem eine für dieses Objekt spezielle Analysemethode an und setzte daraufhin einzelne Segmente des Scans virtuell Stück für Stück aneinander, sodass alle Worte sichtbar wurden. Erst durch diese digitale Entrollung konnte der gesamte Text entschlüsselt werden.
Die Lesung der Inschrift
Wie bei einem Puzzle hat der Archäologe und Experte für lateinische Inschriften Prof. Dr. Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität sich an die Arbeit gemacht und schließlich die 18 Zeilen der „Frankfurter Silberinschrift“ entschlüsselt. „Manchmal hat es Wochen, ja Monate gedauert bis ich den nächsten Einfall hatte. Ich habe Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen und Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert“. Durch die Bodenlagerung gingen einzelne Randpartien verloren. Die Ergänzung der betreffenden Textpassagen bleibt diskutabel.
Außergewöhnlich ist, dass die Inschrift komplett auf lateinisch gehalten ist. „Das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst“, erklärt Scholz. Zudem ist der Text sehr ausgefeilt. Der Verfasser muss ein elaborierter Schreiber gewesen sein.
Ungewöhnlich ist, dass es in der Inschrift keinen Hinweis auf einen anderen Glauben neben dem Christentum gibt. Normalerweise ist bis ins 5. Jahrhundert hinein bei Edelmetallamuletten dieser Art immer eine Mischung verschiedener Glaubensrichtungen zu erwarten. Oftmals finden sich noch Elemente aus dem Judentum oder heidnische Einflüsse. Doch in diesem Amulett werden weder Jahwe, der allmächtige Gott des Judentums, noch die Erzengel Raphael, Gabriel, Michael oder Suriel erwähnt, keine Urväter Israels wie Isaak oder Jakob. Und auch keine heidnischen Elemente wie Dämonen. Das Amulett ist rein christlich.
Die „Frankfurter Silberinschrift“ übersetzt ins Deutsche (Prof. Dr. Markus Scholz, Stand: 04.12.2024)
(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).
Bedeutung für die Wissenschaft
Die Auswertung der Bedeutung des Fundes durch Fachleute für das frühe Christentum und Theologinnen und Theologen steht erst am Anfang. Einige der im Text enthaltenen Formulierungen waren bislang erst viele Jahrzehnte später bezeugt. So findet sich am Anfang der „Frankfurter Silberinschrift“ eine Nennung des Heiligen Titus, eines Schülers und Vertrauten des Apostel Paulus. So wie die eigentlich erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. in der christlichen Liturgie bekannte Anrufung „Heilig, heilig, heilig!“ (Trishagion). Der Text enthält am Ende mit „Die Knie beugen“ zudem ein fast wörtliches Zitat aus dem sog. Christushymnus des Paulus aus seinem Brief an die Philipper (hier: Phil. 2, 10-11).
Die „Frankfurter Silberinschrift“ ist somit eines der bedeutendsten Zeugnisse des frühen Christentums weltweit. Ihre Entdeckung eröffnet für die Archäologie, die historischen Wissenschaften und die Theologie neue Horizonte, aber auch eine Vielzahl neuer Fragestellungen.
Zusammen mit der Auswertung des gesamten Gräberfeldes „Heilmannstraße“ modifizieren diese Ergebnisse manche bislang in der Forschung gängigen Vorstellungen vom Ende des rechtsrheinischen Limesgebiets in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. und verdeutlichen die herausragende Stellung von NIDA innerhalb des römischen Germaniens. Die Stadt NIDA war ein administratives, wirtschaftliches und religiöses Zentrum im Hinterland des Obergermanischen Limes und bis zu ihrer Aufgabe um 270/275 n. Chr. die bedeutendste römische Stadt rechts des Rheins, gekennzeichnet durch eine außergewöhnliche kulturelle und religiöse Vielfalt.
Die „Frankfurter Silberinschrift“ Lesung und Übersetzung ins Deutsche (Prof. Dr. Markus Scholz, Stand: 04.12.2024)
Lesung |
Übersetzung |
1 [in nomi?]ṆẸ SANCTI TIT̅I 2 AGIOS AGIOS AGIOS 3 [in] NOMINE I͞H X͞P DEI F(ilii) 4 [m]VNDI DOMINVS 5 [reg-? oder vir?]ỊBVS OMNIBVS 6 [oc- oder recu]ṚSIONIBVS OP(p)ONIT 7 [de?]VS VALETVDINIBVS 8 ṢẠḶVIS ACCESSVM 9 [pra]ESTAT HAEC SAḶ(us?) TVEAT 10 [h]OMINEM QVI SE 11 ḌEDIT VOLVNTATI 12 DOMINI I͞H X͞P TI DEI F(ilii) 13 QVONIAM I͞H X͞P O 14 MNES{T} (sic!) GENVA FLEC 15 TENT CAELESTES 16 ṬERRESTRES ET 17 INFERI ET OMNIS LIN 18 GVA CONFITEẠTVR |
“(Im Namen?) des Heiligen Titus. Heilig, heilig, heilig! Im Namen Jesu Christi, Gottes Sohn! Der Herr der Welt widersetzt sich nach [Kräften?] allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?). Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden Eintritt. Dieses Rettungsmittel(?) schütze den Menschen, der sich hingibt dem Willen des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn, da sich ja vor Jesus Christus alle Knie beu- gen: die Himmlischen, die Irdischen und die Unterirdischen, und jede Zunge bekenne sich (zu Jesus Christus).“ |
Die wichtigsten Fragen zur Silberinschrift
Die Pressekonferenz vom 11. Dezember 2024, auf der die Entdeckung präsentiert wurde, können Sie hier ansehen.
Ein Interview mit Prof. Dr. Wolfram Kinzig auf der Seite der Universität Bonn finden Sie hier.
Projektbeteiligte
Das Projekt zeigt beispielhaft, die Synergien der Zusammenarbeit verschiedener Institutionen und Projektpartner.
- Stadt Frankfurt am Main
- Archäologisches Museum Frankfurt (Dezernat Kultur und Wissenschaft)
- Denkmalamt Frankfurt (Dezernat Planen und Wohnen)
- Leibniz-Institut für Archäologie in Mainz (LEIZA)
- Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
- Universität Regensburg
- Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
- Verbund Archäologie Rhein-Main (VARM)
-
Labor für Archäometrie und Konservierungswissenschaften, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Film von Thomas Claus zur Frankfurter Silberinschrift
© Thomas Claus Medienproduktion
Fotos:
Titelbild Film: U. Dettmar, AMF
Abb. 1: © Leibniz-Institut für Archäologie in Mainz (LEIZA)
Abb. 2: © Denkmalamt der Stadt Frankfurt am Main, Foto: Michael Obst
Abb. 3: © Prof. Dr. Markus Scholz