Aus der Restaurierungswerkstatt
Leder war lange Zeit ein wertvoller Rohstoff, auch kleinste Reste wurden daher wiederverwendet. Restaurierte Funde der Altstadtgrabungen dieses vergänglichen Materials geben Einblick in handwerkliche Techniken und ästhetisches Empfinden einer lange vergangenen Zeit.
Die Lederfunde, die aus den beiden Altstadtgrabungen des Jahres 2012 am Historischen Museum und im Bereich des Stadthauses zu Tage kamen, sind nun weitgehend restauriert und haben sehr schöne Ergebnisse erbracht. Die kontrollierte und schonende Konservierung der Lederfunde erfolgte nach einer leichten Tränkung mit Polyethylenglycol durch Gefriertrocknung. Die bearbeiteten Funde aus der Kloake, mittlerweile über 100 Lederfragmente, ergaben, dass es sich tatsächlich um Abfälle handelt. Es konnten kaum Anpassungen gefunden werden, in der Regel sind es kleine Fragmente. Da Leder ein wertvolles Material war, wurden üblicherweise auch kleinste Reste wiederverwertet, dies belegen die Funde des Hafenbereichs anschaulich, die sich teilweise aus vielen kleinen Stücken zusammensetzen. Auch Sohlen, die schon abgenutzt waren, wurden durch Reparaturen wieder brauchbar gemacht. Aus diesem Grunde landeten in der Kloake überwiegend nicht mehr zu verwertende Reste, deren einstige Funktion nicht ermittelt werden kann. Nur wenige Stücke lassen sich noch als Sohle oder Oberleder eines Schuhs identifizieren. Auch die Narbenseite ist hier in aller Regel so stark abgebaut, dass das Narbenbild zur Bestimmung der Tierart nicht mehr herangezogen werden konnte. Einige wenige Leder ließen sich jedoch als Rinds- und Kalbsleder identifizieren, außerdem einige weitere unter Vorbehalt als Schafsleder bestimmen.
Bearbeitungsspuren konnten in Form von Einstichen im Leder gefunden werden, ganz selten zeigten sich Verzierungen. Der Erhaltungszustand der überwiegend vergangenen Nähfäden ließ eine Bestimmung des Fadenmaterials nicht zu.
Unter den zirka 170 Lederfragmenten des Hafenbereichs, darunter Schuhsohlen, Riemchen und Bändern, konnten dagegen einige Anpassungen gefunden werden. Dabei wurden einige Leder zu verschiedenen Schuhtypen ergänzt. So konnte ein linker Halbschuh Größe 35/36 mit Riemchenverschluss aus zwei Teilen zusammengesetzt werden. Außerdem konnte ein rechter halbhoher Schuh zum Knöpfen mit einer Länge von 23 cm zusammengefügt werden; da die Spitze fehlt, wäre die Schuhgröße mit über Größe 37 zu rekonstruieren. Ein weiterer – aus Rindsleder gefertigter – rechter halbhoher Schuh mit fehlender Spitze, diesmal zum Schnüren, konnte ebenso letztgenannter Schuhgröße zugeordnet werden. Zudem fand sich ein weiteres Exemplar eines rechten halbhohen Schuhs zum Knöpfen, der die Schuhgröße 34 aufweist. Die erhaltene Höhe beträgt 12,5 cm, ursprünglich war er noch höher, wie die Blindstiche im oberen Bereich zeigen.
Besonders hübsch und gut erhalten ist ein aus weichem Ziegenleder gefertigtes rechtes Exemplar eines hohen Kinderschuhs, ein Knöpfschuh, der aus mindestens sechs Teilen Oberleder besteht, zwei kleine Dreiecke fehlen. Sogar die halbe hintere Sohle ist noch vorhanden, wohingegen die vordere Sohle fehlt. Eine weitere Besonderheit dieses kleinen Schuhs ist eine Hinterkappe, die von innen an der Ferse angesetzt ist. Das Lederband ist oben schmal, unten wird es etwas breiter, dies diente der Verstärkung des Schuhes im Fersenbereich. Der Schuh ist zirka 20 cm hoch und wurde einst mit neun Lederknöpfen geschlossen, von welchen einer sogar noch in einem der Knopflöcher steckte. Die Länge von 15 cm entspricht der Schuhgröße 25/26. Dies entspräche der heutigen Schuhgröße eines Kindes im Alter zwischen 37 und 48 Monaten.
Ein weiterer vermutlich rechter Halbschuh konnte an der Seite mit Hilfe von fünf Lochpaaren geschnürt werden. Die Ösen der Schnürung sind von innen mit einer V-förmigen Verschlussverstärkung hinterlegt. Auch die Ferse wurde mit einer Hinterkappe verstärkt, außerdem war ein Teilstück des Zehenbereiches mit einer seitlichen Streifenverstärkung innenseitig hinterlegt. Die Kappe des Schuhs ist knapp oberhalb der Zehen von einem rechteckigen Ausschnitt im Leder durchbrochen. Die Sohlenlänge hat einst zirka 25 cm betragen, dies entspräche der heutigen Schuhgröße 40, was vermuten lässt, dass es sich hier um den Schuh eines Mannes handelt. Als Lederart konnte ebenfalls Ziegenleder bestimmt werden.
Anhand der verschiedenen Techniken und Merkmale lassen sich einige der Funde datieren. So verwendete man beispielsweise die seitliche Streifenverstärkung frühestens ab dem 14. Jahrhundert.
Ein besonderer Fund ist eine aus einem Lederstück gefertigte Messerscheide, die auf der Vorderseite gestempelt ist. Das Werkzeug dazu war ein 4-fach-Stempel, der rautenförmig diagonal eingesetzt wurde. Die Fläche ist durch Längs- und Querlinien, sogenannte Blindlinien, in Felder unterteilt. Mit einem warmen Streicheisen wurden sie in das feuchte Leder eingearbeitet, nach dem Trocknen wirken diese Linien dann dunkler als das nicht behandelte Leder. Die Blindlinien setzen sich teilweise auf der Rückseite fort. Die Spitze des Futterals ist nicht mehr erhalten, an einer Seite ist wohl durch die Messerklinge das Leder aufgeschnitten. Die Nahtlöcher auf der Rückseite sind durch Längsschnitte angefertigt. Am oberen Rand auf Vorder- und Rückseite befinden sich für die Aufhängung je zwei Löcher. Die Länge der Scheide beträgt 13 cm, die Breite 2,8 cm. Als Lederart konnte Rinds- oder Kalbsleder bestimmt werden, letzteres wäre typisch für solche Futterale. Messerscheiden mit stempelverziertem Dekor und geradem Abschluss wurden ab dem 13. Jh. hergestellt.
Abschließend sei den Studentinnen Saskia Betz, Christine Henke und Sandra Kaiser (Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz und Johannes Gutenberg-Universität Mainz) sowie Rebecca Röstel (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) für die Restaurierung verschiedener Lederobjekte gedankt.
Sigrun Martins
Gefriertrocknung der Lederfunde.
© AMF
Verschiedene Schuhformen der Fundstelle „Hafen“.
© AMF
Punziertes Messerfutteral.
© AMF