Archäologische Prospektion in Seligenstadt
Bei einer Feldbegehung in Seligenstadt wurde eine bemerkenswerte mittelalterliche Bronzefigur geborgen. Zierte der Kopf mit lockiger, schulterlanger Ponyfrisur und großen, eindrucksvollen Augen einst ein Metallgefäß oder Kästchen?
Seit dem Jahr 2014 begeht W. Kallweit auch im Frankfurter Stadtgebiet Ackerflächen im Auftrag des Denkmalamtes. Er besitzt eine langjährige Erfahrung im Bereich der Feldbegehungen, vorwiegend mit Metalldetektor. In Hessen ist er seit mehreren Jahren für die Kollegen im Landkreis Offenbach tätig. In diesem Rahmen beging er im Jahr 2014 eine Reihe meist kleinteiliger Äcker zwischen der Bebauungsgrenze der Stadt Seligenstadt und der Umgehungsstraße L2310 im Landkreis Offenbach. Es handelt sich um eine Fläche von insgesamt etwa zehn Hektar nördlich und südlich des sog. Kortenbacher Weges.
Die gewonnenen Funde konzentrieren sich nach heutigem Stand der Begehungen jedoch auf einen deutlich kleineren Bereich.
Geborgen wurden römische, hoch- und spätmittelalterliche, frühneuzeitliche und neuzeitliche Objekte sowie ein Objekte unbekannter Zeitstellung. Insgesamt ergaben sich damit am Kortenbacher Weg seit Beginn der Begehungen sechs römische, sechs frühmittelalterliche, zehn hoch- und spätmittelalterliche, sechs neuzeitliche und acht Objekte unbekannter Zeitstellung, zusammen 36 Metallobjekte. Nach der offiziellen Meldung der Funde im gleichen Jahr an das Landesamt für Denkmalpflege, Außenstelle Darmstadt wurden die einzelnen Fundstücke dem Finder zum Verbleib übergeben.
Unter den Stücken befindet sich auch ein bemerkenswerter Bronzefund. Es handelt sich um ein 3,5 cm langes und noch maximal 1,2 cm breites Objekt mit einer menschlichen Darstellung. Zu sehen ist eine halbplastisch ausgearbeitete Figur, die in Höhe der Hüfte abgebrochen ist. Der Kopf mit lockiger, schulterlanger Ponyfrisur hat große eindrucksvolle Augen und eine breite Nase, Kinn- und Mundpartie sind verschliffen. Die Darstellung zeigt ein Gewand mit rundem Kragen und winkligen Verzierungen auf der Vorderseite, die durch doppelte Ritzungen dargestellt sind. Da der linke Arm vollständig und der rechte im Bereich des Oberarms abgebrochen ist, können Ärmel nur grundsätzlich erkannt werden. Sowohl der untere Bereich des Körpers als auch die Beine sind nicht erhalten. Aus diesem Grund kann auch die Gesamtdarstellung nicht erfasst werden. Möglicherweise umfasste die Figur ursprünglich nicht den Bereich unterhalb der Hüfte.
Die Rückseite des Fundstückes ist nachlässig gearbeitet und glatt. Sie steht in einem deutlichen Gegensatz zur fein ausgearbeiteten Vorderseite und war offensichtlich keine Schauseite.
Obwohl keine Hinweise auf eine Befestigung vorhanden sind, ist davon auszugehen, dass die Figur auf einem Untergrund angebracht war, denkbar wäre zum Beispiel ein Metallgefäß oder ein Kästchen. Somit könnte das Objekt entweder als Attasche oder Applike angesprochen werden.
In Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege, Außenstelle Darmstadt und der kommunalen Denkmalpflege des Kreises Offenbach wollte der Finder das Objekt einem Museum überlassen. Im Frühjahr 2015 übergab W. Kallweit das Fundstück der städtischen Denkmalpflege zur Inventarisation im Archäologischen Museum Frankfurt. Ohne Frage handelt es sich um ein Fundstück von musealem Wert, das in dieser Art zudem im Bestand des Museums nicht vorhanden war.
Wir begrüßen daher die Übergabe des außergewöhnlichen Stückes ausdrücklich und sprechen dem Finder unseren Dank aus.
Obwohl datierende Beifunde fehlen, kann das Stück zwanglos als karolingisch-ottonisch angesprochen werden. Der Fundort Seligenstadt kann keinesfalls überraschen, der Ort wird erstmals 815 genannt und besitzt bis heute herausragende Bauten der Karolingerzeit. Die berühmte „Einhardsbasilika“ ist allem voran dort zu finden, benannt nach dem Biographen Karls des Großen. Eine zugehörige Klosteranlage kam durch zahlreiche Schenkungen zu großer Bedeutung und erheblichen Einkünften. Mit diesen Einrichtungen sind verschiedene herausragende geschichtliche Ereignisse verbunden, die die Bedeutung der Stadt während des Früh- und Hochmittelalters unterstreichen.
Es kann daher nicht verwundern, dass an einem solchen Platz hochwertige Metallarbeiten gefunden werden – auch wenn sie nur fragmentarisch überliefert sind.
Andrea Hampel
Die Rückseite des Fundstückes ist nachlässig gearbeitet und glatt.
Sie steht in einem deutlichen Gegensatz zur fein ausgearbeiteten Vorderseite
und war offensichtlich keine Schauseite.
© D. Neumann, Denkmalamt Frankfurt